Heftig schallend knallt die Gischt gegen den Katamaran. Souverän und schnittig dreht er im Hafenbecken von Friedrichshafen. Sicher am Anleger angedockt, liegt er nun vor dem gravitätischen Hafenbahnhof. Was für ein kantiger Koloss, den der Stuttgarter Baurat Karl Hagenmayer so ausnehmend modern aus weißen Kuben mit langen Fensterbändern samt ausladendem Restaurantbalkon im Obergeschoss konzipierte. So viel Innovation hätte ich einem Baubeamten eigentlich gar nicht zugetraut, Chapeau ! Sorgsam unter dem Putz verborgen wurde die fortschrittliche Stahlskelettkonstruktion mit leichten Hohlsteinen als Füllmaterial. Wie ein Fingerzeig zum Schweizer Ufer vis-à-vis wirkt der seitlich in den breit gelagerten Hauptbau eingeschnittene Uhrenturm.
Ich möchte die industrielle Progression und Kreativität der Industriestadt näher in Augenschein nehmen und werfe einen Blick ins Innere der 1933 eingeweihten Inkunabel des Bauhauses am Bodensee. Seit 1996 residiert hier das Zeppelin-Museum. In der einstigen Bahnhofshalle im Obergeschoss halten keine Züge mehr. Stattdessen hat das Luftschiff LZ 129 angedockt. Kongenialer scheint die vom Bauhaus beförderte Verbindung von Kunst und Technik nicht vermittelbar. In originalgetreu rekonstruierten Gesellschafts-, Schreib- und Lesezimmern des Luftschiffs stehen die ultraleichten, von Fritz August Breuhaus de Groot entworfenen Aluminiummöbel im Bauhaus-Stil. An den Wänden faszinieren auf hauchzarten Bespannungen aus Ballonseide gespritzte Motive der Designerin Maria May im Stil der Neuen Sachlichkeit.
Beflügelt vom modernen Spürsinn schwebe ich mit dem Zeppelin in Richtung Lindau. Immer wieder aufs neue inspiriert die sanfte Hügellandschaft mit Obstfeldern und Weinrevieren. Gemeinsam mit flirrenden Lichtstimmungen und grandiosem Panorama aus schneebedecktem Bergen rund um den Säntis bietet sich ein Kraftfeld der Natur, welches auch den Bauhauskünstler Georg Muche um 1960 anzog. Schade, dass Lindau seinen prominenten ehemaligen Mitbürger, der 1987 im Alter von 92 Jahren hier verstarb, so versteckt. Dessen 1923 konzipierter Flachdachbungalow “Haus am Horn” in Weimar gehört heute ebenso zum Weltkulturerbe wie sein 1926 aus vorgefertigten Elementen zusammengesetztes Stahlhaus in Dessau. Von Besuchern aus aller Welt angesteuert, steht das in Lindau geschaffene Werk des berühmten Bauhaus-Meisters dagegen im Schatten. Hier fand der Maler, Architekt, Grafiker und Autor von der scharf begrenzten, geometrischen Statik zu einer weichen, fließenden Sprache. Inspiriert von der Natur ringsum malte Muche nun weniger klar kontrastierende, in imaginären Zonen scheinbar schwerelos schwebende Formelemente. Im Lindauer Stadtmuseum Cavazzen sind die Realität und Fantasie verschmelzenden Gemälde Muches üblicherweise zu sehen und demonstrieren dessen überaus produktive Zeit am See.
Jetzt gleite ich über den See. 25 Kilometer weit bläst der Wind meinen Segler ins schweizerische Uttwil. 1919 war der schmucke Ort das “Weimar des Thurgaus“. Leider nur für einige Monate blühte hier der Traum einer Einheit von Kunst und Leben auf. Beflügelt vom diesem Bauhausgedanken sollte eine Künstlerkolonie am See entstehen. Spiritus rector war das belgische Allroundtalent Henry van de Velde. Auch der in Antwerpen geborene Jugendstilkünstler beschränkte sich nicht nur auf eine Sparte. Zu Gebäudeentwürfen lieferte er die passende Ausstattung vom Leuchter über Geschirr bis hin zum Möbel gleich mit. Ab 1902 war er in Weimar am herzoglichen Hof tätig, gründete zur besseren Gewerbeförderung eine Kunstgewerbe- und eine Kunstschule. Aus beiden Schulen ging am 1. April 1919 das Bauhaus hervor. Doch dessen eigentlicher Initiator van de Velde war da schon aus Weimar vertrieben. Von 1918 bis 1920 lebte er im gerade erworbenen ehemaligen Uttwiler “Hotel Schloss“ nahe der Schiffsanlegestelle. Prominente, besonders Künstler gingen hier ein und aus. Die van de Veldes waren in der Schweiz gerne gesehen. Zu ihrem Bedauern musste die Familie 1920 weiterziehen. Heute haben sich auch hier die Spuren des 1957 in Zürich verstorbenen eigentlichen Bauhaus-Urhebers verloren.
Heftiger spüre ich die Wellenschläge bei der Weiterfahrt mit dem Boot in den Konstanzer Trichter. Im Konstanzer Fährhafen strecken sich mir verglaste Wartepavillons wie Schiffsbrücken entgegen. Geradezu schwerelos wirken die runden Caféhäuser mit ihren überstehenden Flachdächern, Aussichtsterrassen und dünnen Stützen. Innen setzen Pilzsäulen, kreisende Geländer, gebogene Treppenläufe die schwungvolle Eleganz fort. Von graublauen Stahl- und Aluminiumprofilen gerahmte Fensteröffnungen lassen den Übergang zwischen Wasser und Land nahtlos erscheinen. Ab 1951 realisiert, gehören die Ländebauten zu den frühesten der Moderne im Nachkriegsdeutschland. Sie zeigen, wie technoide, multifunktionale Kleinbauten auf sinnfällige Weise zu einer erquicklichen Ausdrucksarchitektur aufgewertet werden können. Die Nähe zum Bauhaus kommt nicht von ungefähr: Der Architekt Hermann Blomeier hatte von 1930 bis 1932 am Dessauer Bauhaus bei Mies van der Rohe studiert. Seit 1933 in Konstanz ansässig, prägen seine Gebäude in der Bauhaus-Nachfolge bis heute das Stadtbild. Direkt gegenüber der Altstadt am Seerhein lege ich an. Hier steht Blomeiners 1956 eröffnetes, gitterhaftes, scharfkantiges Vereinsheim für den Ruderclubs Neptun. Mit den ausgreifenden Streben des graublauen Stahlskeletts gelang ihm ein graziles Spiel offener und geschlossener Volumina.
Ich steige aufs Rad um und fahre hinauf nach Staad. Denn ein Jahr später schuf Blomeiner hoch über dem See mit der Kreuzkirche ein weiteres Meisterwerk. Nach italienischen Vorbildern reduzierte er den Duktus der Saalkirche mit frei stehendem Kampanile auf das Wesentliche. Das tragende Betonrahmengerüst fachte er mit wässrig-gelben Ziegeln und Dickglasscheiben so effizient aus, dass das Innere mittels “Lichttore“ festlich inszeniert wird. Zurück zum Seerhein: Dagegen schon stark vom Geist des Minimalismus zehrt die 1965 errichtete Wessenbergschule. Trotz aller kompakter Geschlossenheit und Strenge war die enge Verknüpfung mit dem Außenraum Blomeiers Anliegen. Das gelang ihm durch die bauhaustypische Verbindung von Bauteilen mit offenen Gängen, durch raumhohe Duchfensterungen oder hinausgeschobene Kastenerker zum Seerhein. Hier zeigt sich erneut: Ästhetik abseits von Schnörkel, Schmuck und Schnickschnack muss nicht immer unangenehm aufbegehren. Sich von der Landschaft inspirieren zu lassen, um sie wiederum auf originelle Weise zu verfeinern, von diesem Geist wünscht ich mir heute mehr Wellenschläge.
Literaturhinweise:
Ulrich Kleiner & Axel Paul: Georg Muche: Vom Bauhaus an den Bodensee. Allitera-Verlag München 2018
Markus Löffelhardt: Konstanz Kreuzlingen. Architektur seit 1918. Edition Quadrat Mannheim 2017