Ein grenzüberschreitender Reisebericht
Zwischen Markdorf und Rorschacherberg warten zahlreiche Highlights auf Weinfreunde und Kulturinteressierte: vom historischen Torkel im Fachwerkdorf über das hoch prämierte Weingut in schönster Uferlage, vom modernen Kunstforum bis hin zum Weltkulturerbe St. Gallen. Gewohnt wird fürstlich: in zwei Schlössern hoch über dem See, die sich vortrefflich ergänzen. Von Stuttgart oder Karlsruhe kommend, erreicht man Markdorf im Nu. Schon aus der Ferne leuchtet das Bischofsschloss mit seinem weißen Wohnturm über der Stadt. Mit seinen sechs Stockwerken plus Staffelgiebel ist es das höchste Gebäude weit und breit. Neben dem Kirchturm, versteht sich. Umgekehrt hat man vom 4. Stock einen weiten Blick über das Land, zum Bodensee und den nahen Alpen mit dem Säntis.
Rund und mittelalterlich
Doch zunächst in die Stadt: übersichtlich und hübsch ist die Altstadt von Markdorf, eine runde mittelalterliche Anlage zwischen Unter- und Obertor. Links herum wartet die städtische Galerie, mit ihren immer sehenswerten Ausstellungen moderner Kunst. Rechts um die Ecke duftet die Kaffeerösterei von Markus Boese. Donnerstag ist Marktag, dann steht Boese parat und fertigt Espresso nach Wunsch – während der übrigen Tage nach Lust und Laune, denn sein Hauptgeschäft ist der Verkauf von Kaffeebohnen. Aber auch Kräuterteemischungen des Markdorfers Bernhard Schupp hat er im Sortiment, für die Teepause im Büro beispielsweise. In der gesamten Innenstadt finden sich liebevoll geführte Läden, in denen man stöbern kann und gut beraten wird. Dass der Wein eine wichtige Rolle in Markdorf spielt, sieht man an vielen Ecken. Hier ein „Weinsteig“, dort eine „Torkelgasse“. In den „Auen“ wiederum, ein Stückchen nordöstlich des Stadtkerns gelegen, wohnten und arbeiteten im letzten Jahrhundert die Winzer. Ein Bummel durch die Gässchen lohnt sich, romantisch wirken die Häuschen heute. Die Tourist-Information am Marktplatz versorgt die Reisenden mit allem Wissenswerten.
Weinkunde allenthalben
Kenntnisreich zeigt sich auch der Kellner, zum Beispiel im Schwanenstüble am Markdorfer Marktplatz. Schwankend zwischen Weiß- und Grauburgunder, rät er in diesem Jahr zum Grauburgunder aus Hagnau. Eine gute Empfehlung, der leichte Wein passt zum Mittag und dem feinen Salat mit Ziegenkäse in Sesammantel. Kretzerfilet und Felchen aus dem See dürfen noch warten, denn schließlich steht am Abend das 6-gängige Gourmetmenü im Schlossrestaurant „Mundart“ an. Ausschließlich regional und saisonal wird dort gekocht: „Wenn Sie im Winter Tomaten auf dem Teller haben, dann sind Sie nicht bei uns,“ heißt es. Im Mundart bleibt die Qual der Weinwahl erspart, die Schlossgeister suchen passende Weine aus, bevorzugt von den beiden Hauswinzern, vom Weingut Aufricht in Meersburg oder vom Dilger im benachbarten Bermatingen. Doch noch bleibt der ganze Nachmittag zur Erkundung der Umgebung. Rund zwei Kilometer sind es beispielsweise bis Allerheiligen auf dem Gehrenberg. Am Parkplatz in Möggenweiler startet der gut ausgeschilderte Wanderweg „Guck ins Land,“ der als fünfzehn Kilometer lange Rundtour selbst ambitionierte Wanderer glücklich macht. Bis zum Aussichtsturm ist es ein rechter Spaziergang, die dreißig Meter auf den Turm ersetzten das Training im Studio. Alternativ lässt sich auch das Auto nehmen und an der Straße in Allerheiligen parken. Von dort sind es gerade noch 100 Meter zu Fuß.
Frische Luft über den Baumwipfeln
Schön ist er ja nicht, der Turm, gefertigt aus Eisen und sonnengegerbten Planken, aber die Rundumsicht ist phänomenal. Man schwankt zart im Wind, über den Baumwipfeln des 700 Meter hohen Gehrenberges, und findet sich auf Höhe der Zeppeline wieder, die bedächtig ihre Sightseeingrunde über den See drehen. Bequemer kann man von Markdorf nach Bermatingen gelangen, ohne Steigungen, ein kurzes Stück mit dem Auto oder eine Station mit dem Zug. Das Fachwerkdorf blickt stolz auf seine über 1200-jährige Geschichte zurück, die Pfarrkirche St. Georg ist eine der ältesten Kirchen am nördlichen Bodenseeufer. Weinfreunde zieht es zum historischen Bermatinger Torkel, 1991 wurde er beim Weingut Dilger wieder errichtet. Auf zwei Tafeln wird genau erklärt, wie der Hammel über dem Schaf liegt und welche tragende Funktion der Keil namens Esel hat. Erst wenn er entfernt wird, senkt sich das gesamte Gewicht der massiven Stämme auf das ausgebreitete Pressgut. Im Sommer und in der zweiten Oktoberhälfte öffnet die Familie Dilger ihre Besenwirtschaft: Vesperteller und Dinnele sind ausgesprochen beliebt. Genau wie die hauseigenen Weine und die spritzigen Secco-Sorten, die das übrige Jahr selbstredend gekostet und gekauft werden dürfen.
Sprung über den See
Bevor es an das gegenüberliegende Seeufer geht, wird noch ein guter Tropfen beim Weingut Aufricht in Meersburg-Stetten für Zuhause eingekauft. Die Weine sind so außergewöhnlich wie das Weingut, eine Symbiose von Tradition und Moderne. Der trockene Grauburgunder machte in diesem Jahr wieder den 1. Platz beim internationalen Grauburgunder Preis. Prämiert wurde auch der rote Spitzenwein, der Spätburgunder „Isabel 3 Lilien.“: Er trägt nun den Titel „Weltspitze, 1. Platz“ nach dem Berliner Weinführer 2014. War nicht auch beim abendlichen Gourmetdiner der ein oder andere gute Aufrichtwein dabei? Sicherlich, und so kann hier auch der Autofahrer kaufen. Eben einmal ohne zu kosten. Aber nun nach Friedrichshafen. Das Zeppelinmuseum wird vertagt, denn jetzt geht es auf die Fähre nach Romanshorn. Entspannt gleitet man über den See, genießt die Aussicht vom Oberdeck oder den kuschelig geheizten Salon bei einer feinen Tasse Schümli. Die Autofähre wird von der Schweizerischen Bodensee Schifffahrt gemeinsam mit den Bodensee-Schiffsbetrieben (BSB) betrieben. Bordwährung sind Franken und Euro, beide Währungen werden auf allen Schiffen der Fähre Friedrichshafen-Romanshorn akzeptiert. Die Ankunft in Romanshorn ist spannend, kaum scheint die Fähre durch die schmale Hafeneinfahrt zu passen. Aber natürlich besteht keine Gefahr, sanft legt das Schiff an. Weiter fährt man mit dem Auto oder Zug Richtung Rorschach, immer am Seeufer entlang.
Klassische Moderne in Rorschach
Zunächst passiert man die „Badhütte“ in Rorschach. 1924 ersetzte sie drei baufällige Badehütten und wirkt heute selbst sehr historisch. Mit einer kleinen Brücke ist sie mit der Seepromenade verbunden. „Badi“ nennen sie die Einheimischen liebevoll, die hier sommers nicht nur zum Baden, sondern auch abends bei Konzerten verweilen. Am Hafen von Rorschach dominiert das Kornhaus: 1746 beauftragte der St. Galler Abt Coelestin den berühmten Barock-Baumeister Caspare Bagnato mit dem Bau, schon drei Jahre später konnte es in Betrieb genommen werden. Heute findet sich darin ein interaktives Kindermuseum, das auch die Frühgeschichte der Bodensee-Siedlungen darstellt. Ein Stückchen weiter schon die nächste Sensation: das im April 2013 neu eröffnete Forum Würth. Auf einer Ausstellungsfläche von 600 Quadratmetern sind Klassiker der Moderne zu sehen, darunter hochkarätige Werke von Pablo Picasso, Max Beckmann und Ernst Ludwig Kirschner. Besonderen Wert legt die Sammlung auf Schweizer Künstler wie Ferdinand Hodler. Zeit im nächsten Domizil einzuchecken, im Schloss Wartegg. Oben am Rorschacherberg wurde es 1557 von Kaspar Blarer von Wartensee erbaut. Seinen Bruder, den Fürstabt Diethelm Blarer von Wartensee nennt man den „dritten Stifter“ des Klosters St. Gallen, führte er doch den durch die Reformation vertriebenen Konvent ins Kloster zurück und stellte die Herrschaft über das Klostergebiet wieder her. Hier in Rorschacherberg kann man die enge Verbindung von weltlicher und geistlicher Macht studieren. War das Bischofsschloss in Markdorf lange Sommersitz der Fürstbischöfe von Konstanz, so zeigt sich hier die Verbundenheit mit dem Kloster St. Gallen. Rorschach und Rorschacherberg gehören zum Kanton des weltbekannten Klosters und der Stadt St. Gallen. Zunächst wenden wir uns irdischen Genüssen zu. Berühmt ist das Schloss nicht nur für seine Geschichte und die mustergültige Renovierung vor 16 Jahren, sondern auch für das Engagement für die Umwelt. Das Gemüse und die Kräuter kommen aus dem eigenen Demeter-Garten, das Fleisch von Biobauern der Umgebung. Liebevoll und saisonal abgestimmt sind die Gerichte: „Entrecôte vom Weiderind mit Rotweinzwiebeln und Rosmarin“ beispielsweise oder „Kürbisrisotto mit Ziegenfrischkäse und Rotweinfeigen.“ Ein Blick auf die Tageskarte steigert die Vorfreude auf das abendliche Mahl. Natürlich ist auch hier ein großzügiges Doppelzimmer vorbereitet, ein Spaziergang durch den Schlosspark entspannt die Sinne und glättet das Gemüt. Und wieder steht ein wundervoller Abend bevor, mit besten Speisen und Weinen und dem sicheren Gefühl, anschließend einfach ins traumhafte Bett sinken zu können.
Thal und Berg im Rheintal
Der morgendliche Besuch eines Weingutes muss für Weinfreunde sein. Eine engagierte Gemeinschaft der Rheintalwinzer wartet in dieser Region, nahezu alle familiengeführt und die meisten davon auf kleinen, steilen Lagen. Hier wird vieles noch von Hand erledigt, was anderswo längst automatisiert wurde. Wieder die Qual der Wahl: Doch wo wir gerade bei den Schlössern sind, könnte die Entscheidung für die Schlosskellerei der Familie Kessler fallen: Sie residiert seit den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts im wunderbar gelegenen Schloss Weinberg hoch über dem See. Es gehört zur Schweizer Grenzgemeinde St. Margarethen, die eine prachtvolle Traube im Wappen führt. Doch 1980 lag der Weinbau danieder und das Schloss aus dem 16. Jahrhundert war stark vernachlässigt. Beides wurde in liebevoller Arbeit wieder aufgebaut, der Felsenkeller mit seinen dicken Mauern eignet sich vorzüglich für die Weinkelterung. Naturreiner Eigenbau ist die Leitlinie der Kesslers. Eine Besonderheit sei der hauseigene Schaumwein aus der Pinot Noir-Traube, erzählt Boris Kessler, klassisch gekeltert, mit Flaschengärung wie der Champagner. Besonders beliebt sein der „Don Rudolfo“, eine Hommage an seinen Vater Rudolf, „Brut“ vom Charakter her. Das Schloss kann mit dem Auto – oder auch über einen Wanderweg von der Zahnradbahn Rheineck-Walzenhausen erreicht werden. Alternativ bietet sich das Bioweingut Geiger an oder das Weingut von Tobias Schmid & Sohn in Berneck. Aber auch mit dem Oenologenpaar Salome Reimann und Tom Kobel in Thal kann man sich verabreden: Seit 2007 leitet die beiden die Ochsentorkel Weinbau AG. Der Ochsen ist eine währschafte Wirtschaft, in der gerne die Weine des Ochsentorkels, aber auch die anderer Winzer von Thal ausgeschenkt werden. Die Reben der Ochsentorkel Weinbau AG wachsen auf vier Hektaren an den steilen Lagen des Buechbergs. Im Herbst sorgt der Föhneinfluss hier noch für die letzen Öchsle. Wer nun noch etwas Zeit hat, spaziert auf dem Rebkulturweg bei Thal, wo selbst Weinkenner noch immer neue Entdeckungen machen können: 2,6 Kilometer ist der Rundweg lang und in ein bis zwei Stunden gut zurückzulegen. Eine Stärkung am Weg serviert das Restaurant „Steiniger Tisch.“
Ein Welterbe zum Abschluss
Der letzte Höhepunkt der Tour, die ein Wochenende wie einen ganzen Urlaub scheinen lässt, ist der Besuch in St. Gallen: Ein Bummel durch die Innenstadt mit den sehenswerten Erkern, mit einer Einkehr in einer der typischen Beizen im ersten Stock oder einfach eine der berühmten St. Galler Kalbsbratwürste im knusprigen Bürli auf die Hand? – Ganz wie es die St. Galler vormachen, die aus den Büros strömen. Und dann die Stiftsbibliothek, die wie der ganze Stiftsbezirk unter dem Schutz der UNESCO steht. Das Welterbe also: Auf Puschen rutscht man über das edle Parkett, gebohnert von staunenden Besuchern aus aller Welt: Hier sind Schätze versammelt, die ihresgleichen suchen. Der berühmte Klosterplan St. Gallen, entworfen von den Spezialisten der Abteil Reichenau Anfang des 9. Jahrhunderts, wird hier verwahrt. Kostbare Handschriften aus dem frühen Mittelalter, Weltkarten, alte Erdkugeln. Spätestens seit dem Jahre 719 besteht die Bibliothek. Der jetzige barocke Bibliotheksraum entstand wiederum zwischen 1758 und 1767 und erstrahlt noch heute im originalen Glanz.
Anreise
Von Norden kommend nach Markdorf. Oder von Süden, der Schweiz und Österreich kommend, zuerst nach Rorschacherberg. Die Reise ist mit dem PKW oder mit dem Zug möglich. Die öffentlichen Linien sind gut getaktet, vom Hafenbahnhof Friedrichshafen sind es nur wenige Schritte zur Fähre, die ganzjährig verkehrt. Ebenso liegt der Bahnhof Romanshorn direkt am Hafen.